Wie wichtig ist die sichere Bindung für ein Kind?
„Eine unsichere Bindung ist veränderbar.“ Diese hoffnungsvolle Aussage stellte die Bindungsforscherin und Psychoanalytikerin Anna Buchheim an den Beginn ihres Vortrags in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs. Über 180 Interessierte folgten den interessanten Ausführungen der Professorin für Klinische Psychologie an der Universität Innsbruck, diesmal in der Prisma-Kinderbetreuung KIMI in Lustenau. Die auf John Bowlby zurückgehende Bindungstheorie sei kein statisches Modell. „Negative Erfahrungen der frühen Kindheit sind ins Positive verwandelbar“, so Buchheim. Bindung wird als gefühlstragendes Band zu einer Person verstanden, das Raum und Zeit überwindet. Daraus entstehe ein Bindungsverhaltenssystem, das in bestimmten, z. B. belastenden, Situationen aktiviert werde.
Still face: Das Baby zieht alle Register
Die Entstehung von Bindung setzt voraus, dass sich Eltern oder andere Bezugspersonen feinfühlig um das Kind kümmern. Anhand des „Still face-Experiments“ veranschaulichte die Bindungsexpertin per Video, wie Kleinkinder reagieren, wenn ihre Signale von der Bindungsperson nicht feinfühlig beantwortet werden. In dem Experiment sieht die Mutter ihr Baby zwei Minuten lang mit einem „stillen“, ausdruckslosen Gesicht ohne Mimik an und spricht auch nicht mit ihrem Kind. Das Baby zieht alle Register und schöpft all seine Möglichkeiten aus, um die Mutter zu einer Reaktion zu bewegen. Es lächelt und streckt seine Ärmchen aus, es zeigt in den Raum, es gluckst und strampelt, bis es schließlich bitterlich weint. Nach zwei Minuten nimmt die Mutter wieder liebevoll Kontakt zu ihrem Kind auf, tröstet es und spricht sanft mit ihm, um es zu beruhigen.
Bindung macht sozial kompetent
Verhaltensbeobachtung sei vor allem eine gute Methode, um zu sehen, was in der Eltern-Kind-Beziehung gut gelaufen ist. So könne die elterliche Feinfühligkeit trainiert werden, hielt Anna Buchheim fest. Gerade stark belastete Eltern hätten oft Schwierigkeiten, kindliche Signale wahrzunehmen, diese richtig zu interpretieren und prompt zu reagieren. Der „Still face-Versuch“ endet nach zwei Minuten, was aber, wenn ein Kind dauerhaft kein bindungsförderndes Umfeld, kein liebevolles Gegenüber vorfindet? Denn Kinder, die Nähe und Zuwendung erfahren haben, können auch im späteren Leben besser mit schwierigen Situationen umgehen, z. B. eher Hilfe annehmen. Sicher gebundene Kinder haben eine höhere Sozialkompetenz, sie sind weniger ängstlich, dafür neugieriger und offener. Das ganze Leben lang wirkt dieses feste Band wie ein elastischer Schutzmantel, der hilft, mit Hürden, Verletzungen und Krisen zurecht zu kommen.
Meine Kindheit – deine Kindheit
Über Frühe Hilfen und Programme zur Förderung einer starken Eltern-Kind-Bindung könne eine unsichere Bindung „repariert und in gute Interaktionen überführt werden“. Hier rücken Ressourcen und positive Interaktionen in den Fokus und können so verstärkt werden. Für Eltern, die selbst eine belastende Kindheit und Traumatisierungen erlebt haben, sei es wichtig, diese zu benennen. „Reflexion verhindert die transgenerationale Übertragung einer unsicheren Bindung“, erklärt Anna Buchheim. So können positive, liebevolle Beziehungen gelebt und weitergegeben werden.
Netzwerk Familie hilft
Infos über frühe Hilfen und Programme zur elterlichen Feinfühligkeit (z. B. SAFE, Entwicklungspsychologische Beratung) oder bei psychischen Krisen rund um den Zeitpunkt der Geburt gibt Netzwerk Familie: www.netzwerk-familie.at, T 05572/200262, info@netzwerk-familie.at
Autorin: Christine Flatz-Posch
Den Vortrag in der Vokithek nachhören
Der Vortrag fand in Kooperation mit Prisma KIMI Kinderbetreuung statt.
Die Vortragsreihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird gemeinsam mit dem ORF Vorarlberg und Russmedia durchgeführt und vorwiegend vom Land Vorarlberg/Fachbereich Kinder und Jugend finanziert. Sämtliche Vorträge können in der Vokithek des Vorarlberger Kinderdorfs nachgehört werden.