Die Kraft der Ermutigung
Hand aufs Herz: Begreifen Sie Ihr Kind von seinen Stärken oder seinen Schwächen her, sehen Sie den Käse oder die Löcher?
Im Rahmen der Reihe „Wertvolle Kinder“ propagierte Dr. Jürg Frick die Kraft der Ermutigung. „Das Leben ist eine permanente Bewältigungsstrategie“, so der Zürcher Pädagoge und Psychologe im voll besetzen Gemeinschaftsraum des Vorarlberger Kinderdorfs. Um die wichtigen Lebensaufgaben anzupacken, brauche es Mut. Und Mut wächst nicht, wenn wir unseren Kindern von vornherein alles abnehmen. „Wie viel trauen Sie Ihrem Kind zu?“, fragte Frick ins Publikum. „Wie oft packen Sie ihm die Sporttasche, fahren es zur Schule, binden ihm die Schuhe?“ Wenn man den Zahlen Glauben schenkt, sind wir heute mehr denn je geneigt, unsere Kinder zu verwöhnen. Waren es 1971 noch 80 % der 7- bis 8-jährigen SchülerInnen in Deutschland, die zu Fuß zur Schule gingen, verringerte sich die Zahl 1990 auf gerade mal 9%.
Brüche, die uns weiterbringen
Ermutigung ist eine der wichtigsten Grundlagen für die günstige Entwicklung von Menschen. Frick legte den anwesenden Eltern und Pädagogen nahe, den Fokus auf das Bemühen des Kindes zu legen und den Einsatz anstelle des Endergebnisses zu quittieren. „Scheitern gehört zum Leben“, konstatierte Frick. Gerade Brüche und Rückschritte würden wichtige Erfahrungen ermöglichen: trotz Widerständen am Ball bleiben, einen neuen Anlauf nehmen, wenn etwas nicht geklappt hat, wieder aufstehen, wenn man auf die Nase gefallen ist. „Oft sind es die Umwege, die später weiter führen.“ Unsere Gesellschaft ist allerdings so strukturiert, dass primär Top-Leistungen honoriert würden, z. B. in Form von Geld für gute Noten. „Statt für gute Ergebnisse zu loben, ist es viel sinnvoller, die Anstrengung des Kindes zu bestärken.“ Mit konkreten, fairen, ehrlichen Rückmeldungen und der Haltung, grundsätzlich das Positive zu sehen.
I bin a klans Pinkerl, und stell mi ins Winkerl.
Und wal i nix kan, drum fang i nix an. (Wiener Reim)
„Mir gefällt, wie du dran bleibst“
Eine positive Lebenseinstellung macht überhaupt vieles leichter. Menschen, die sich selbst und andere positiv wahrnehmen und ein optimistisches Zukunftsbild zeichnen, leben nicht nur gesünder, sie sind auch eher in der Lage, ihren Kindern Vertrauen, Zuversicht und den Glauben an sich selbst mit auf den Weg zu geben. Hilfreich ist eine „Sprache der Ermutigung“: Sätze wie „Mach‘ weiter so!“, „Mir gefällt, wie du dran bleibst“ oder „Es ist toll, wie du versuchst, das Beste zu geben“ wirken bestätigend und motivierend. Frick schlägt kleine Intermezzi am Ende der Woche oder des Tages vor, in denen sich Eltern und Kindern noch einmal gemeinsam vor Augen führen, was alles gut gelaufen ist. Auch ein „Ermutigungs-Ordner“, in dem positives Feedback gesammelt und jederzeit griffbereit zur Verfügung steht, erhöht die Kraft der Ermutigung. Darin können kleine Zettelchen und Zeichnungen „für die allerliebste Mama der Welt“ oder den „besten Papa überhaupt“ aufbewahrt werden.
Kinder brauchen kleine Aufgaben
Um Kinder im Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu bestärken, soll nur so viel Hilfestellung wie nötig gegeben und Kinder in die Familienarbeit eingebunden werden. „Ich bin für Kinderarbeit“, warf der Autor salopp in den Saal, und meint damit: Kindern entsprechend ihrem Alter kleine Aufgaben übertragen, ihre Mitarbeit fördern und bekräftigen – auch wenn manches dann etwas länger dauert, als wir es uns wünschen.
Wir können uns entspannen
Immer gelte es, auf Fortschritte hinzuarbeiten, als Perfektion anzustreben. Den inneren Dialog bewusst positiv gestalten und mit mehr Gelassenheit die Eltern-Kind-Beziehung gestalten sind jedenfalls wichtige Wegweiser, die auf der Ermutigungsskala ganz oben stehen. Denn: „Das Leben fordert uns schon genug.“
„Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“ (Dietrich Bonhoeffer)
Infos zur Reihe „Wertvolle Kinder“
Autorin: Christine Flatz-Posch, Vorarlberger Kinderdorf