„Die DNA bestimmt nicht unser Schicksal“
„Wertvolle Kinder“: Wir sind nicht die Marionetten unserer Gene. Im Gegenteil – unser Lebensstil beeinflusst das Erbgut von Generationen.
Zeigen Sie jenen, die Sie lieben, dass Sie sie lieben? Ernähren Sie sich gesund und bewegen Sie sich? Können Sie entspannen und schlafen Sie gut? Mit diesen Fragen an das zahlreich erschienene Publikum eröffnete der Wissenschaftsautor und Biologe Dr. Peter Spork seinen Vortrag im Rahmen der Reihe „Wertvolle Kinder“ im ORF-Landesstudio. Epigenetik – so lautet das neue Zauberwort, das für einen anderen Denkansatz und Forschungszugang in der Erbe-Umwelt-Diskussion steht. Der „zweite Code“ schlägt eine Brücke zwischen sozialen und biologischen Prozessen und geht davon aus, dass Umwelteinflüsse einen Organismus regelrecht umprogrammieren können. Dabei handelt es sich laut Spork „um knallharte Wissenschaft“, die nichts mit Esoterik zu tun habe und für die bereits zwei Nobelpreise vergeben wurden.
Wir ziehen die Fäden selbst
„Wir haben eine ungeahnte Macht über unser Erbgut“, erläuterte Spork. Umwelteinflüsse wie Liebe, Erziehung, Traumata, Geborgenheit, Ernährung, Sport, Misshandlung oder Sucht beeinflussen nachhaltig unser Erbe. Und dies bereits im Mutterleib bzw. – so der neueste Stand der Forschung – schon vor der Zeugung. „Wenn wir gesund leben, bevor wir ein Kind zeugen, hat dies Auswirkungen auf unsere Kinder, auf unsere Enkel und Ur-Enkel.“
Der zweite Code
Wie funktioniert nun dieser sogenannte „2. Code“? Winzige biochemische Strukturen sitzen an unseren Genen und entscheiden wie Schalter darüber, welche Gene an- und welche abgeschaltet sind. „Sie verleihen den Zellen eine Identität“, erläuterte Spork. „Diese Schalter helfen jeder der Billionen Zellen unseres Körpers, sich auf Umwelteinflüsse dauerhaft einzustellen.“ Eltern und Erzieher würden mit ihrem Verhalten maßgeblich über Persönlichkeit und Krankheitsanfälligkeit der Kinder mitbestimmen. „Sie entscheiden, wie viel Anregung und Geborgenheit die Kleinen erfahren, wie viel sie sich bewegen oder schlafen, was sie essen und welchem Stress sie ausgesetzt sind.“ Dadurch würden sie wichtige Schalter an den Genen in Gehirn- und Stoffwechselzellen umlegen und beeinflussen, wie kontaktfreudig oder ängstlich die Kinder für den Rest ihres Lebens sind, wie stressresistent und wie anfällig für Depression, Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
„Dicksein beginnt im Mutterleib“
Epigenetische Veränderungen könnten demnach zeitlebens für Wohlbefinden sorgen – oder eben nicht. So beginne heute Dicksein schon im Mutterleib. „Wir sind, was unsere Mutter gegessen hat“, sagte Spork, der einen neuen Blick auf Prävention öffnete. Es gäbe kein schicksalhaftes „Diabetes-Gen“, das schwergewichtige Mütter an ihre Kinder weitergeben. „Wir haben es durchaus in der Hand, ob unsere Kinder dick werden oder nicht“, so Spork, der für flächendeckende Diabetestests während der Schwangerschaft plädiert. Auch Begrenzungen der Gewichtszunahme Schwangerer seien in Deutschland in Diskussion. Nach der Geburt beuge Stillen Übergewicht am besten vor. Insgesamt machte der Wissenschaftler im ORF-Landeszentrum Mut, mit einem entsprechenden Lebensstil die Fäden auf der Bühne des Lebens selbst zu ziehen, und nahm auch den Staat in die Verantwortung. „Eltern müssen weitaus stärker unterstützt werden, um nicht in extreme Belastungssituationen zu kommen.“ Vorstellbar seien Kuraufenthalte für Eltern ebenso wie Programme für Hebammenbesuche zuhause, die sich als sehr positiv für die Entwicklung der Kinder erwiesen hätten. Auch Organisationen, die sich um das Wohl traumatisierter, benachteiligter Kinder kümmern, sollten in größerem Ausmaß unterstützt werden.
Entspannung und Geborgenheit
Was wir für uns tun, bevor wir Kinder zeugen, helfe unseren Enkeln und Urenkeln. Geborgenheit, Entspannung und viel Schlaf, eine gesunde Ernährung und Bewegung hätten sich dabei als wesentliche Faktoren erwiesen, unser Potenzial optimal auszuschöpfen und uns bestmöglich auf Umweltbedingungen einzustellen. Spork schloss mit dem Satz: „Wir sind so frei, die Macht über unser Erbgut zurück zu gewinnen“.
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Buchtipp: Peter Spork, „Der zweite Code“