Wertvolle Kinder-Vortrag des Vorarlberger Kinderdorfs: „Kindliche Perspektiven auf Familien, Scheidung, Trennung“
Scheidung aus Kinderperspektive
„Es ist nicht immer einfach, mit Kindern über solche Dinge zu sprechen. Ich möchte Ihnen Inputs geben, damit das leichter wird“, so die Forscherin vom Institut für Soziologie in der Reihe „Wertvolle Kinder“, diesmal zu Gast im KIMI in Lustenau. Zu Beginn warf sie jedoch einen Blick in die Statistik. 80 Prozent aller Kinder in Österreich leben bei einem leiblichen Elternpaar, zehn Prozent bei einer alleinstehenden Mutter, ein Prozent bei einem alleinstehenden Vater und neun Prozent in einer Patchworkfamilie. Pro Jahr sind 12.500 Kinder in Österreich von einer Scheidung der Eltern betroffen, jedes vierte Kind erlebt eine elterliche Trennung vor dem 15. Lebensjahr. Die höchsten Scheidungsraten weist Wien auf, am niedrigsten sind sie in Tirol. Vorarlberg liegt im Bundesländerranking im Durchschnitt.
„Medial wird ein Bild vermittelt, das nicht der Realität entspricht: Die Eltern trennen sich, dann ist die Familie zu Ende und die Kinder sind arm.“
Scheidungszahlen seit 2007 rückläufig
Entgegen dem medial transportierten Bild hätten die Scheidungszahlen 2007 einen Peak erreicht und seien seitdem rückläufig. Erst 2023 gab es nach Jahren mit stagnierenden bzw. rückläufigen Scheidungsraten laut Statistik Austria wieder einen Anstieg um gut fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Kritik äußert die Wissenschaftlerin auch an der Bilddarstellung in den Medien, die nicht der Realität entspreche. „Die Bilder vermitteln, dass eine Scheidung das Ende der Familie bedeutet. Die Eltern trennen sich, dann sind die Kinder arm.“ Dabei seien die Auswirkungen auf Kinder sehr unterschiedlich und würden von „negativ über gar keine bis positiv“ reichen. Der Fokus ist heute laut Parisot auf Veränderung und Neuordnung gerichtet. „Eine Trennung wird als Übergang in der Familienentwicklung gesehen, als Vorstufe zu einem anderen Familienmodell mit reorganisierten Beziehungen.“
Kinder als Co-Forschende
Wie das Kinder sehen, interessierte ein Forschungsteam der Uni Wien. „Wir wollten nicht über, sondern mit den Kindern forschen, um die kindliche Perspektive ins Zentrum zu stellen“, so die Soziologin. 142 Schulkinder wurden als Co-Forschende und aktiv gestaltende Expert:innen in das Projekt eingebunden. Im Rahmen von Gruppendiskussionen, Interviews und über kreative Zugänge wie Zeichnen wurde eingefangen, was Kinder selbst über Familie, Scheidung und Nachtrennungsfamilien denken. Eine Frage beschäftigte die Kinder dabei ganz besonders: „Können Kinder schuld sein an der Trennung der Eltern? Ganz sicher nicht? Auch nicht, wenn sie ganz schlimm waren?“ Ebenso zerbrechen sich Kinder über Streit und Konflikte der Eltern den Kopf und überlegen, wie eine „faire Aufteilung“ nach der Trennung ausschauen könnte.
„Kinder wollen Fairness für die Eltern, das heißt aus ihrer Sicht eine 50:50-Aufteilung der Wohnung, des Geldes, der Kinder – von allem eben.“
Fairness heißt für Kinder 50:50
„Kinder haben immer das Beste für die Eltern im Blick, ihr eigenes Wohl ist untergeordnet“, so die Sozialwissenschaftlerin. „Sie wollen Fairness für die Eltern, das heißt aus ihrer Sicht eine 50:50-Aufteilung der Wohnung, des Geldes, der Kinder – von allem eben.“ Es sei deshalb Aufgabe der Eltern, Kinder zu unterstützen, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu schauen. „Kinder wollen frühzeitig informiert und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Und sie wünschen sich Zeit, um sich auf die neue Situation einzustellen. „Kinder denken sehr stark von ihren Eltern aus. Sie versuchen, friedliche und möglichst nachhaltige Lösungen zu finden, um Konflikte zu bereinigen.“ Schuldgefühle seien auch deshalb sehr präsent, weil es in den elterlichen Streitigkeiten oft um Erziehungsthemen oder die Aufteilung der Care-Arbeit gehe.
Scheidung bedeutet Veränderung
Wichtig ist laut der Familienforscherin, mit den Kindern zu reden und sie wissen zu lassen: Wenn Eltern sich trennen, heißt das nicht, dass alle schönen Dinge vorbei sind. Kinder müssen sich nicht zwischen den Eltern aufteilen oder sich entscheiden, bei wem sie wohnen wollen, jedoch sollte ihre Meinung gehört werden. Vor allem komme es auch auf die Nachtrennungsphase an: „Wenn Konflikte bleiben, kann es massiv belastend für Kinder sein. Kinder brauchen zudem Zeit, um sich an neue Partner der Eltern zu gewöhnen. Dann können diese aber eine wichtige Funktion einnehmen.“ In jedem Fall gilt: Ein Kind darf immer beide Elternteile liebhaben, egal was passiert.
Kindliche Perspektiven auf Familien, Scheidung, Trennung
Den ganzen Vortrag von Viktoria Parisot (Institut für Soziologie, Universität Wien) gibt’s zum Nachhören in der Mediathek des Vorarlberger Kinderdorfs.
Nächster Vortrag in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs:
„Gib mir mal die Hautfarbe – Kinder gegen Rassismus stärken“ mit Olaolu Fajembola, am 9. April um 20 Uhr im ORF Landesstudio Vorarlberg in Dornbirn. Infos & Anmeldung »
Die Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit Russmedia und dem ORF Vorarlberg durchgeführt und vom Land Vorarlberg – Fachbereich Jugend und Familie – unterstützt.