Depression nach der Geburt erkennen: Nachfragen hilft
Die Zahlen klingen besorgniserregend: Rund zehn bis 15 Prozent aller Mütter erkranken nach der Geburt an einer Depression. Nur bei einem Fünftel wird eine Postpartale Depression auch diagnostiziert. Dabei könnte allein durch genaueres Nachfragen einiges verhindert werden, ist Notburga Egerbacher-Anker überzeugt. Die Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin widmete sich in der Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs dieser noch weitgehend tabuisierten Thematik.
„Baby Blues“ ist keine Erkrankung
Nach wie vor fehlt laut der Expertin das Bewusstsein dafür, wie schwerwiegend diese Erkrankung ist. Zudem wirken sich hohe Ansprüche nachteilig auf betroffene Frauen aus. „Das Umfeld reagiert oft mit Unverständnis: Es ist doch alles gut, das Kind ist gesund, warum bist du denn nicht glücklich?“, beschreibt die Psychotherapeutin gängige Erwartungshaltungen. Die meisten frischgebackenen Mütter schweben jedoch gerade in den ersten Wochen nicht durchwegs im siebten Himmel. „Ein Baby bedeutet eine Riesenveränderung“, so Egerbacher-Anker. „Oft sind die Gefühle sehr ambivalent.“ So erleben 40 bis 80 Prozent aller Frauen den sogenannten „Baby Blues“. Während diese kurzzeitige Traurigkeit jedoch in den ersten 14 Tagen wieder verschwindet, ist die Postpartale Depression eine ernsthafte Erkrankung. Die Diagnose wird bis zu einem Jahr nach der Geburt gestellt. Häufig empfinden die betroffenen Frauen Schuld und Scham. „Das hält sie davon ab, über ihre Gefühle zu sprechen.“
Betroffene „wie abgeschaltet“
Die Psychotherapeutin zählte vor einem aufmerksamen Publikum im Vorarlberger Kinderdorf Kronhalde Anzeichen auf, die auf eine Postpartale Depression hindeuten: „Die Frauen wirken weit weg, wie abgeschaltet und sind ohne Grund gestresst, gereizt oder wütend. Sie haben weniger Körperkontakt mit ihrem Kind, reden weniger mit ihm und wollen es so viel wie möglich abgeben.“ Die wichtigste Botschaft von Egerbacher-Anker ist, betroffene Mütter nicht allein zu lassen: „Irgendjemand muss ins Boot geholt und Hilfe organisiert werden, zum Beispiel bei der Hausärztin, in der Geburtshilfe im Krankenhaus oder bei Beratungsstellen. Bleibt eine Depression nach der Geburt unbehandelt, sind auch die Folgen für das Kind gravierend.“
Nachfragen hilft!
Hebammen komme im Erkennen und in der Diagnose eine Schlüsselfunktion zu, denn nur durch eine möglichst frühzeitige Behandlung können erkrankte Frauen ihre Mutterrolle ausfüllen. Aber nicht nur Fachpersonen, auch Familienmitglieder, Nachbarn und Bekannte seien in der Lage, herausfinden, ob tatsächlich professionelle Unterstützung vonnöten ist. „Es ist eigentlich recht einfach, eine postpartale Depression zu erkennen“, sagt die Fachfrau. „Stellen Sie der Mutter folgende drei Fragen:
1. Fühlten Sie sich in der letzten Zeit häufig niedergeschlagen und hoffnungslos?
2. Bemerkten Sie bei sich in der letzten Zeit vermehrt Ängste oder Zwänge?
3. Hatten Sie deutlich weniger Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?“
Folgen für Kinder wiegen schwer
Zahlreiche Belastungsfaktoren wie Schilddrüsen- oder Autoimmun-Erkrankungen, Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt, massiver Stress, materielle Sorgen, Gewalt oder ein Trauma können zu einer postpartalen Depression führen. Auslöser ist mitunter auch eine lange Kinderwunsch-Behandlung. „Die Frau will dann das so sehr ersehnte Kind wieder zurückgeben. Sie ist der Überzeugung, eine schlechte Mutter zu sein, und hat massive Schuldgefühle.“ Eine postpartale Depression zeigt sich mitunter zudem in „aufdrängenden Gedanken, dem Kind etwas anzutun“ sowie ausgeprägten Panikattacken. Bei der Mutter führt die Krankheit zu Bindungsstörungen, Sucht bis zu Kindesmisshandlung und tiefster Verzweiflung. Die Kinder depressiver Mütter haben Schlafstörungen, Fehlernährung, Wachstumsverzögerungen und Entwicklungsstörungen. Ihr Risiko ist gravierend erhöht, später selbst an einer Depression zu erkranken.
Mehr Hinschauen auf die Väter
Zu wenig Beachtung fänden auch die Väter. Dabei leiden rund 7 bis 10 Prozent aller Männer an einer Postpartalen Depression. 24 bis 50 Prozent sind es, wenn die Partnerin depressiv ist. „Es gibt wenig Hinschauen, was mit den Vätern los ist. Sie sind durch die Mehrbelastung häufig überfordert, haben Zukunftsängste und tun sich schwer, Verständnis für die Situation ihrer Partnerin aufzubringen“, betont Notburga Egerbacher-Anker. Wenn die Erkrankung erkannt wird, rät die erfahrene Körpertherapeutin zu einer sogenannten „emotionellen ersten Hilfe“. Das körperorientierte Verfahren ermöglicht Bindungsaufbau und schult die Feinfühligkeit. Vorbeugend wirkt laut Egerbacher-Anker vor allem Aufklärung: „Eltern müssen von der Postpartalen Depression erfahren, denn niemand ist davor gefeit.“
Autorin: Christine Flatz-Posch
Der Vortrag kann in der Mediathek des Vorarlberger Kinderdorfs nachgehört werden.
Sie sind selbst betroffen? Beratung, Hilfe und Angebote zur Bindungsförderung gibt es bei Netzwerk Familie des Vorarlberger Kinderdorfs: info@netzwerk-familie.at, T 05572 / 200 262. Sie können auch online Kontakt aufnehmen.
Die Reihe „Wertvolle Kinder“ des Vorarlberger Kinderdorfs wird in Kooperation mit Russmedia und dem ORF Vorarlberg durchgeführt und vom Land Vorarlberg – Fachbereich Jugend und Familie – unterstützt. Über 90 Vorträge können in der Mediathek des Vorarlberger Kinderdorfs nachgelesen und nachgehört werden.
„Postpartale Depression erkennen, damit umgehen und unterstützen“
Vortrag von Notburga Egerbacher-Anker, Psychotherapeutin, Säuglings-, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Bindungsbasierte Körperpsychotherapeutin, Lehre und Supervision Emotionelle Erste Hilfe (EEH) und Bindungsbasierte Körperpsychotherapie.