„Mehr aufs Bauchgefühl hören“
„Wertvolle Kinder“: Außerhäusliche Betreuung von Kindern unter drei – Chance oder Risiko?
Sie sind kleine Forscher und Entdecker, brauchen und geben viel Nähe und sind von Geburt an kompetent. Als unverdrossene Grenzgänger sind Kinder bis zu drei Jahren vor allem auf feinfühlige Begleitung und verlässliche Bezugspersonen angewiesen. Die Psychologin Monika Wertfein präsentierte in ihrem Vortrag zum Abschluss der 10. Staffel „Wertvolle Kinder“ neueste Erkenntnisse aus der Frühpädagogik und fand klare Worte für ein kontrovers diskutiertes und brennendes Thema.
Kinder lernen immer
„Bildung beginnt mit der Geburt“, konstatierte die Münchner Wissenschaftlerin. Und: „Kinder lernen immer.“ Am besten, wenn sie authentische, selbstwirksame Erfahrungen machen dürfen. Es gelte, den Kleinen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und sie mit Zutrauen zu unterstützen, damit sie autonom die Welt erkunden können. Im Spielgruppenkontext bedeutet dies, dass Kinder auf verlässliche und vertraute Bezugspersonen angewiesen sind, um Glauben in sich selbst und Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Ständig wechselnde Betreuungspersonen und unregelmäßige Betreuungszeiten würden dem entgegenstehen. Oft sei außerhäusliche Betreuung „ein Balanceakt“, bedauerte Wertfein. „Je kleiner das Kind, desto kleiner und konstanter sollte die Gruppe sein. Die Realität in der Kita kollidiert jedoch vielfach mit dem Anspruch der Kinder. Statt vertrauten Personen sind große Gruppen, häufige Personalwechsel und knappe Personalausstattung an der Tagesordnung. “
Rausschleichen verboten
Da Kinder in Beziehungen lernen würden, heiße das Zauberwort „Vertrauen“. „Entscheidend ist emotionale Sicherheit“, so Wertfein. „Man muss den Kindern Zeit lassen.“ Die Psychologin betonte die Bedeutung der Eingewöhnungsphase. „Vor dem vierten Tag keine Trennungsversuche und die Besuchsdauer langsam steigern“ – so ihr Ratschlag. Auch sollten Eltern den Abschied von ihrem Sprössling zelebrieren. „Auf keinen Fall einfach rausschleichen!“
Glückliche Spielgruppenkinder?
Grundsätzlich sprächen die Forschungsergebnisse gegen eine allzu frühe institutionelle Betreuung. Kinder im ersten Lebensjahr brauchen laut Monika Wertfein eine enge Zweierbeziehung: „Die Fremdbetreuung kann zum Risiko für die Mutter-Kind-Beziehung werden, wenn das Kind über zehn Stunden pro Woche außerfamiliär von mehr als einer Person betreut ist“, so die Leiterin des Münchner Instituts für Frühpädagogik. Auch im zweiten Lebensjahr würden Kinder von familiennahen Betreuungsformen beispielsweise durch Großeltern oder Tagesmutter profitieren. Ab dem zweiten Lebensjahr wirke sich die Betreuung in Spielgruppen – sofern die Qualität passt – positiv auf die sprachliche und kognitive Entwicklung des Kindes aus. „Vor allem für sozial benachteiligte Kinder kann eine frühzeitige außerhäusliche Betreuung durchaus Vorteile bringen.“
Außerfamiliäre Betreuung ist eine Chance
Monika Wertfein sieht außerfamiliäre Betreuung von Kindern unter drei Jahren in qualitativ guten Einrichtungen sehr wohl als Chance. Allerdings nur dann, wenn eine intensive Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und Pädagogen und eine gute Passung zwischen Kind, Eltern und Betreuungspersonen gegeben ist. Patentrezept konnte die Wissenschaftlerin keines präsentieren. „Es sind immer individuelle Entscheidungen. Man sollte sich die Frage stellen: Was braucht mein Kind? Was brauchen wir als Eltern?“ Um hochwertige Einrichtungen erkennen zu können, rät Wertfein dazu, das zugrunde liegende Konzept zu lesen und die Praxis zu hinterfragen, beispielsweise wie im Alltag mit Unterschieden der Kinder (u.a. was Schlafen oder Essen anbelangt) umgegangen wird. „Maßgeblich ist immer die Qualität“, so Wertfein. Letztlich sei es aber „das Baugefühl, auf das wir viel mehr hören sollten“.
Autorin: Christine Flatz-Posch