Herwig Bauer: Von Fußball und anderen Dingen
Herwig Bauer, 1973 in Feldkirch geboren und aufgewachsen. Er studierte Architektur an der UNAM México City, der TU Innsbruck und Wien: Diplom bei Cuno Brullmann. 1994 gründete er die Workshopreihe „Feldkircher KreAktiv- Wochen“, aus der sich das poolbar-Festival entwickelt hat. Sechs Wochen lang wird für über 20.000 Gäste „Kulturelles von Nischen bis Pop“geboten. Aktuell leitet Herwig Bauer das poolbar-Festival in Feldkirch* sowie das Festival poolbar mit pratersauna in Wien und ist u. a. im Marketing beim Wiener Monopol Verlag tätig. Er lebt mit seiner Frau* und seinem Sohn in Feldkirch.
Viele Erinnerungen an meine Kindheit haben sich mir tief eingeprägt: die Melancholie, die ich fühlte, als ich mit meinen Eltern an einem föhnigen Wintertag unter herabfallenden Buchenblättern zum Wildpark in Feldkirch hinaufwanderte. Ich schmiegte mich an Mama – den heimeligen Pelzmantelgeruch habe ich heute noch in der Nase. Wöchentlich ein Fixpunkt: Oma kommt auf Besuch, sitzt lesend und schwatzend am Tisch, der kleine Herwig daneben, Mama bügelt: Wasserdampf und der Geruch von heißen, feuchten Leintüchern. Dazu natürlich Neil Diamond und Konsorten auf Radio Vorarlberg. Nur manchmal lief zufällig pünktlich zum Eintreffen meines Vaters Katja Ebsteins „Dann heirat´ doch dein Büro!“ ...
Fußball im Sommer: Beim Gedanken daran steigen Glücksgefühle hoch. Wir hatten einen großen Rasenplatz hinterm Haus, einen fußballbegeisterten Vater sowie eine Mutter, die das Treiben jedenfalls schön fand und – wie die Nachbarn – Ernteeinbußen im Gemüsegarten in Kauf nahm. Wir spielten in den Ferien täglich, bis es stockdunkel war, in die schwüle Nacht hinein, mit der ganzen Nachbarschaft, mit Kollegen, Freunden, den Schulkameraden meiner Brüder. Unterschiedlichste Menschen jeden Alters und jeden sozialen Hintergrundes begegneten sich hier. Man hatte Spaß oder stritt, danach saß man zusammen, trank Limo – und irgendwann später dann auch Bier.
Sorry,
Herr Bauer!
Ebenso faszinierend war für uns das Element Wasser. Nach jedem Sommerregen strömten wir Kinder auf die Straße und schoben mit den Füßen das Wasser aus den Lachen, bauten Bachläufe ins Kies und zogen Gräben in tieferliegende Areale der Kuhwiese, sodass dort oft gar nicht so kleine Seen entstanden. Etwas spät, aber doch: „Sorry, Herr Bauer, aber Ihr Gras wuchs ja danach trotzdem weiter!“ Wasser beschäftigte uns aber auch auf unseren Streifzügen: Die Ill ist ja ein übel regulierter Kanal, aber wir hatten unsere Lieblingsplätze am Fluss, wo wir zwischen den riesigen Ufersteinen unsere eigenen kleinen Kanalsysteme und Stauseen errichteten, mit Schleusen aus Köpfen von Glasflaschen mit Bügelverschluss. Apropos Lebensräume: Ein eigenes Haus zu besitzen, ein geschütztes Rückzugsgebiet zu haben, das war damals ein Traum. Wir begannen, überall Hütten zu bauen, bis uns Ameisen, Schlangen oder die Angst vor Unbekanntem wieder vertrieben. Eine Hütte mit mehr Bestand durfte ich schließlich in unserem Garten errichten. Ich nannte sie „Haus Bauer“. Manchmal zogen wir auch einfach durch die Nachbarschaft, um irgendwas anzustellen. Regelmäßig wagten wir einen Ausflug zur Schattenburg, um dort mit raffinierteren Gerätschaften exotische Münzen aus dem (wegen uns?) vergitterten Hofbrunnen zu fischen, bis uns der Koch verjagt hat. Wir waren (hurra!) oft unbeaufsichtigt und manche Szene ging gerade noch gut aus. Ein Beispiel: Der mit Abstand Älteste in der Runde lauter kleiner Kinder – er hatte schon einen Oberlippenflaum – präsentierte uns zu Silvester stolz seine Schweizerkracher. Wir waren alle neugierig und
steckten unsere kleinen Köpfe zusammen – bis er plötzlich schrie: „Jetzt laufen!“ Er hatte einen brennenden Kracher in eine Glasflasche gesteckt. Ist aber nichts passiert.
Löcher im Kopf
und im Gips
Mein bester Freund Robert war immer dabei und der Legende nach hatte er gezählte sieben „Löcher im Kopf“: Wenn wir an Bohnenstangen Blecheimer befestigten, um damit Fechtkämpfe auszutragen, fiel ihm der Eimer auf den Kopf; wenn wir wetteten, wer schneller auf dem Betonfrühbeet-Mäuerchen balancieren konnte, krachte er mit dem Kopf an die Kante. Einmal erwischte es auch mich ernsthaft: Ich brachte auf dem Fahrradsitz mein Bein in die Speichen des Rads meiner Mutter – aber wenn ich meinem Vater glauben darf, war ich beim Sprint durch die Nachbarswiese selbst mit Liegegips noch der Schnellste. Ich weiß nur noch, dass ich vor lauter Herumrennen an der Ferse ein großes Loch in den Gips gewetzt hatte.
Üble
Erinnerungen an
unangenehme
Zwänge
Herwig Bauer (vorne) mit seinen Brüdern
Mein Vater erzählte mir – und vor allem anderen – stolz, dass ich in der Volksschule immer den anderen geholfen hätte.* Mir sind vor allem meine schweißnassen Hände übel in Erinnerung, wenn es darum ging, „schön“ zu schreiben. Als Linkshänder verschmierte ich oft das Geschriebene.
Als drittes von drei Kindern hatte ich das Glück, dass meine Eltern schon „Routiniers“ waren. Ich bekam Schutz und Wärme, aber auch viele Freiheiten. Meine Eltern gaben mir immer das Gefühl, das Richtige zu tun – eigentlich bis heute. Unser eigener Sohnemann ist jetzt vier Jahre* alt. Er leistet schon kräftig Widerstand gegen Ungewolltes und hinterfragt die Dinge – darin will ich ihn bestärken. Ich möchte ihm viel Freiheit und Vertrauen angedeihen lassen. Sein herzhaftes Lachen, wenn wir übermütig Blödsinn machen, ist ein Traum. Noch schöner aber ist sein stolzer Blick, wenn er etwas ganz allein geschafft hat. Diesen Blick will ich so oft wie möglich genießen und (mit Bewunderung) erwidern dürfen.
Auszug aus dem Buch „Kindheit(en) in Vorarlberg“, Bucher 2018 (2. Auflage). Erhältlich im Vorarlberger Kinderdorf (T 05574-4992-0), online und im Buchhandel.
Fotos: Matthias Rhomberg, privat
* Anm.: Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Kindheit(en) in Vorarlberg", der 2018 im Bucher-Verlag veröffentlicht wurde. Die Daten wurden demgemäß an aktuelle Gegebenheiten angepasst. So leitete Herwig Bauer das poolbar-Festival bis ins Jahr 2018 etwa gemeinsam mit Heike Kaufmann, heute ist er alleiniger Geschäftsführer. Sein Sohn wiederum ist mittlerweile elf Jahre alt. Alle vorgenommenen Änderungen sind entsprechend mit einem Stern markiert. (12/2022)