Wenn die Party ausbleibt
Kein Maturaball? Ist doch kein Weltuntergang, meinen Erwachsene. Für Jugendliche markieren Abschlussfeiern und Partys in der Peergroup jedoch wichtige Übergänge ins Erwachsenenleben. Cornelia Kräutler-Küng vom Familiendienst erlebt täglich, wie sehr es Jugendlichen zusetzt, wenn sie auf ihre Rituale pandemiebedingt verzichten müssen.
„Ich habe schon alle Einladungen geschrieben, aber Mama erlaubt meine Geburtsparty jetzt doch nicht, weil vielleicht ein neuer Lock-down kommt!" ,,Ich wollte mit meiner besten Freundin die Jause teilen, aber wir wussten gar nicht, ob man das überhaupt darf!" Solche Sätze hören unsere Mitarbeiter:innen in ihrer Arbeit mit Jugendlichen beim Familiendienst des Vorarlberger Kinderdorfs. Wie geht es Jugendlichen, wenn sie in ihren Ritualen eingeschränkt werden? Wenn die Matura ohne Abschlussball und Maturareise stattfindet, die Party zum Lehrabschluss entfällt, wenn es keine Klassenfahrten gibt?
Rituale verbinden
Rituale stärken das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe und zeigen den Übergang in eine neue Entwicklungsphase an. Der zusehende Bedeutungsverlust von Ritualen in unserer Gesellschaft wird durch die Pandemie verstärkt. Betroffen sind vor allem auch Jugendliche. Während zu Kindern der Osterhase trotz Lockdown und Quarantäne kommt und Feste im Jahreskreis im Kindergarten stattfinden, müssen Jugendliche auf viele ihrer alterstypischen Rituale in der Peergroup und im öffentlichen Raum verzichten.
Zum einen betrifft dies die großen und offensichtlichen Rituale wie die Feier nach dem erfolgreichen Lehrabschluss oder das Maturavalet. Oft denken Erwachsene, dass es ja kein Weltuntergang sei, wenn zum Beispiel der Maturaball nicht über die Bühne geht. Für Jugendliche steckt hinter diesen Traditionen jedoch weit mehr als nur eine Feier Sie markieren wichtige Schritte ins Erwachsenenleben. Es geht darum, gemeinsam auf das bisher Geleistete zurückzuschauen, aber auch den Blick nach vorne zu richten. Rituale helfen auf psychologischer. Ebene, Lebensphasen abzuschließen und neue zu beginnen.
Übergänge gebührend feiern
Genau so ist die jährliche Geburtstagsfeier für Jugendliche ein wichtiges Ritual, dem auch der Gesetzgeber Bedeutung zumisst, indem jeder Geburtstag mit dem Erwerb von neuen Rechten und Pflichten einhergeht. Das schrittweise Erwachsenwerden gibt den Jugendlichen die Möglichkeit, sich langsam an die Volljährigkeit heranzutasten. Diese Übergänge im Leben wollen gefeiert werden. Nicht umsonst haben sich daraus wiederkehrende Traditionen gebildet.
Auch Rituale, die Jugendliche unterstützen, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, fehlen in den letzten zwei Jahren. Schulen können keine „Kennenlerntage" oder Sport- und Projektwochen durchführen. Lehrlingscamps werden meist abgesagt. Die Förderung der Gemeinschaft zwischen Jugendlichen geht immer mit einem persönlichen Entwicklungsprozess einher. Damit ist für Jugendliche die Chance verknüpft; Erfahrungen außerhalb der Familie zu sammeln, Verantwortung und Verlässlichkeit zu beweisen.
Ein cooles Gefühl
Der Verlust von Ritualen zeigt sich auch im außerschulischen Kontext. Ohne Wettkämpfe wird irgendwann das Training perspektivlos, ebenso wie die Theaterprobe ohne Aussicht auf eine Premiere. Keine Möglichkeit zu haben, sich vor Publikum zu beweisen, Talente zu präsentieren und die Begeisterung zu teilen, bringt die Jugendlichen um einen wertvollen Erfahrungsschatz. Oder wie es eine Jugendliche beschreibt: ,,Ich hätte nie gedacht, dass es mir fehlt, nervös zu sein. Der Nervenkitzel, bevor man auf die Bühne geht, ist irgendwie schon ein cooles Gefühl!"
Auch die kleinen Rituale fehlen
Oft sind es auch kleine, persönliche Rituale, die den Jugendlichen abgehen: sich für eine Party schick zu machen, etwas Tolles anzuziehen und sich dann im eigenen Körper besonders wohl zu fühlen oder spontan bei einer Freundin zu übernachten und bis in die Nacht zu quatschen. Die Pandemie wird von Jugendlichen als sehr belastend erlebt, weil viele Entwicklungsschritte anstehen und zeitgleich wichtige Erfahrungen wegfallen. Was können Eltern, was kann die Gesellschaft tun, um unsere erwachsen werdenden Kinder gut zu begleiten? In Beziehung bleiben und wenn nötig Hilfe holen.
Da die zentralen Lebenserfahrungen nicht im elterlichen Nest gesammelt werden können, sind die Unterstützungsmöglichkeiten beschränkt. Was immer gilt: Mit den Jugendlichen gut in Beziehung bleiben, sie ernst nehmen. Ihnen Gesprächsräume sowohl in der Familie als auch in der Schule zur Verfügung zu stellen, in denen sie ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen können. Wichtig ist auch, ihre Situation nicht zu bagatellisieren, sondern ehrlich anzuerkennen, dass sie durch die Pandemie um einen wertvollen Teil ihrer Jugend gebracht werden.
Der Artikel entstand in Kooperation mit Johanna Schlenker, die im Vorarlberger Kinderdorf mit Jugendlichen arbeitet.
Mag.a (FH) Cornelia Kräutler-Küng ist Sozialarbeiterin und Stv. Bereichsleitung vom Familiendienst des Vorarlberger Kinderdorfs. Sie ist Mutter von zwei Kindern.
Der Artikel ist Teil der März-Ausgabe der Zeitung "Familie" des Vorarlberger Familienverbandes.