Über 2000 Kinder in Familienkrisen aufgefangen
Die Ansprüche an Familien werden höher, zudem verschärfen sich existenziell belastende Lebenssituationen. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen hinterlassen in der Auffanggruppe deutliche Spuren. „Wir hatten sowohl 2023 als auch im aktuellen Jahr die höchste Auslastung seit Bestehen zu bewältigen“, sagt Georg Thoma vom Vorarlberger Kinderdorf. Er ist seit 31 Jahren in verschiedensten Funktionen im Kinderdorf Kronhalde tätig, seit Jänner dieses Jahres als leitender Mitarbeiter in der Auffanggruppe. Insgesamt knapp 2000 Kinder zwischen fünf und 13 Jahren, die während einer Krisensituation nicht in ihrer Familie bleiben konnten, wurden seit der Gründung 1984 in der Auffanggruppe betreut. 541 Kinder waren es allein in den vergangenen zehn Jahren, darüber hinaus fanden 203 Babys und Kleinkinder in privaten Krisenpflegefamilien ein behütetes Zuhause auf Zeit. Heuer wurden bis Ende September bereits 55 Kinder aufgenommen und damit um 35 Prozent mehr als in den Jahren davor.
Verstärkte Gewalterfahrungen
Die Auslöser, die eine Krisenbetreuung nötig machen, sind laut Thoma vielfältig. „Der häufigste Grund sind Erziehungsschwierigkeiten sowie Überlastung bzw. Überforderung der Eltern, gefolgt von gesundheitlichen Problemen, Sucht und psychischen Erkrankungen.“ Verstärkt sind Kinder zudem von häuslicher Gewalt sowie hoch strittigen Trennungen betroffen. „Diese Problematik ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen“, betont Georg Thoma. Die betreuten Kinder bringen in vielen Fällen Bindungsstörungen und Traumatisierungen mit, die sie gravierend belasten und sich in Verhaltensauffälligkeiten, Angststörungen, depressiven und aggressiven Symptomen sowie Rückzug äußern.
„In mir ist nur noch Chaos“
„Die Kinder bei uns sind oft traurig, aber auch wütend und aggressiv, sie haben das Gefühl, dass in ihnen nur noch Chaos ist“, verdeutlicht Georg Thoma die Auswirkungen von Gewalt- und Vernachlässigungserfahrungen. Häufig kommen erhebliche Schwierigkeiten im sozialen Umfeld und in der Schule dazu. Die vielfältigen psychischen Probleme der Kinder und die konstant hohen Auslastungszahlen stellen die Mitarbeitenden vor große Herausforderungen. „Die Betreuung fordert vom Fachpersonal ein hohes Maß an Flexibilität, an Fachlichkeit und Präsenz ebenso wie Wertschätzung und Kompetenz im Kontakt mit Eltern und Familienangehörigen“, erklärt Thoma. Im Vorarlberger Kinderdorf wird u. a. mit intensiven Fortbildungen beispielsweise im Bereich Traumapädagogik sowie verstärkter interdisziplinärer Zusammenarbeit reagiert.
Ausweitung wünschenswert
Als weitere Herausforderung der Auffanggruppe bezeichnet Thoma die große Altersspanne der Kinder. „Den Bedürfnissen von noch jungen Kindern und zugleich von Jugendlichen in kritischen Lebensphasen gerecht zu werden, ist eine kaum zu bewältigende Aufgabe“, so Georg Thoma. Zudem sei es meist sinnvoll, dass die betreuten Kinder weiterhin ihre bisherige Schule bzw. ihren Kindergarten besuchen können. „Dies würde jedoch einen permanent verfügbaren Fahrdienst notwendig machen oder eine Ausweitung des Angebots“, sieht man seitens des Vorarlberger Kinderdorfs wünschenswertes Entwicklungspotenzial. „Ja, wir sind für dich da! Das ist unsere Grundhaltung, egal wann und wie die Kinder zu uns kommen“, hält Thoma fest. „Wir wollen Familien in momentan ausweglos scheinenden Situationen mit unserem Angebot Zeit und Unterstützung bei der Krisenbewältigung anbieten, insbesondere den Kindern einen sicheren Ort und eine umfassende Versorgung. Dafür braucht es vor allem Menschen, die Zuversicht vermitteln.“