Nicole Strüber (Mitte) mit Angelika Ott (Caritas), Michael Hämmerle (Kaplan Bonetti), Stephan Schirmer (aks), Marie Schübl (Vorarlberger Kinderdorf) und Claudia Salzgeber (aks).
Mehr Schutz für Kinder in belasteten Familien
Viele Eltern mit kleinen Kindern sind erschöpft – aufgrund fehlender sozialer Netze, mangelnder Betreuungsmöglichkeiten, finanzieller Sorgen oder konfliktreicher Trennungen. „Unsere tägliche Arbeit in der Familienbegleitung zeigt, dass immer mehr Eltern mit komplexen Herausforderungen zu kämpfen haben“, berichtet „Netzwerk Familie“-Leiterin Marie Schübl. „Früher ging es vorrangig um Unsicherheiten im Umgang mit dem Kind oder konkrete Erziehungsfragen. Heute geraten Eltern durch eine Vielzahl an Belastungen an ihre Grenzen.“
Alleinerziehende unter Druck
Besonders betroffen seien Alleinerziehende. „Sie haben überproportional häufig mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Oft verschärfen schwierige Trennungen die Situation zusätzlich“, weiß die Expertin. Zudem würden dringend benötigte Unterstützungen aufgrund langer Behördenverfahren und aufenthaltsrechtlicher Unsicherheiten verzögert. „Diese Stressfaktoren gepaart mit hohen gesellschaftlichen Erwartungen an die Elternrolle setzen Familien enorm zu.“
Stress mindert Feinfühligkeit
Wie Kinder in solch belasteten Familiensystemen geschützt werden können, darum ging es in einem Abend in der Reihe „Impuls & Dialog“ von Netzwerk Familie. Als Referentin eingeladen war die Neurobiologin Nicole Strüber, die sich seit über 20 Jahren mit der Erforschung des menschlichen Gehirns beschäftigt. Strüber zeigte aus neurophysiologischer Sicht eindrucksvoll auf, wie aus Überforderung und unzureichender Bindungserfahrung Teufelskreise entstehen. „Beispielsweise kann ein Baby aufgrund vorgeburtlicher Stresserfahrungen ein schwierig zu handhabendes Temperament entwickeln, das sich in häufigem, heftigem Weinen ausdrückt. Das wiederum stresst die Eltern, was ihre Feinfühligkeit im Umgang mit dem Baby mindert“, so Nicole Strüber vor einem interessierten Fachpublikum im Landeskrankenhaus Bregenz.
Die Neurobiologin Nicole Strüber hielt auf Einladung von Netzwerk Familie einen Vortrag im LKH Bregenz.
Wie Babys Vertrauen entwickeln
Überforderte Eltern seien eher auf der Beziehungs- und Erfahrungsebene als kognitiv erreichbar. Es brauche u. a. deutlich mehr Familienhilfen, Aufklärung über kindliche Bedürfnisse und videogestützte Beratung. „Wenn Eltern prompt und liebevoll auf die Signale ihres Kindes reagieren, entwickelt das Kind Selbstwirksamkeit und Vertrauen. Voraussetzung ist, dass Eltern über ausreichend Ressourcen verfügen und emotionale Stabilität mitbringen.“
Sichere Bindung ermöglichen
Die zentrale Botschaft des Events lautete: Frühkindliche Prägungen sind nicht in Stein gemeißelt, allerdings ist eine Änderung der belastenden Umwelt für eine positive Entwicklung der Kinder unabdingbar. Wenn es gelinge, elterlichen Stress zu reduzieren und eine sichere Bindung zu ermöglichen, könnten sich auch ungünstige Startbedingungen positiv verändern – und damit die Entwicklungs- und Gesundheitschancen der Kinder nachhaltig verbessert werden.