„Prellbock, aber auch sicherer Hafen“
Kommen Kinder in die Pubertät, wird die Eltern-Kind-Beziehung durcheinandergewirbelt. Denn Jugendliche brauchen vor allem Rückzugsräume – „in Echt“ oder (Corona-bedingt) digital.
Als wäre es für Eltern nicht schon schwierig genug, gemeinsam mit ihren Kindern durch die Pubertät zu schippern. Die Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen machen die Sache nicht einfacher und Jugendlichen in ihren Freiheitsbestrebungen einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Statt Freunde treffen, ungezwungenen Umarmungen und Entwicklung des eigenen sozialen Lebens abseits vom Elternhaus heißt es jetzt, viel mehr Zeit daheim zu verbringen. Dabei würden Jugendliche in der Pubertät am liebsten gänzlich auf gemeinsame Familienzeit verzichten. „Die wichtigsten Menschen sind in dieser Lebensphase Freunde und die Gruppe der Gleichaltrigen“, erklärt Kathrin Stocker, Psychologin in der Paedakoop des Vorarlberger Kinderdorfs.
Digitale Sozialräume
Handy und Computer komme in Zeiten von Corona besondere Bedeutung zu, sagt die Expertin und selbst Mutter von zwei pubertierenden Töchtern. „So wie wir Erwachsene unsere Meetings in virtuelle Besprechungsräume verlegen mussten, so können sich die Jugendlichen in ihren digitalen Sozialräumen treffen.“ Eltern biete sich dadurch zudem die Chance, einen Teil der Lebenswelt ihrer Kinder kennen zu lernen, der sonst verschlossen bleibe. Facetime, Skype & Co bringen nicht nur Schulkolleg*innen und Freunde zum Quatschen und Chillen nach Hause, über Online-Medien wird gemeinsam gelernt, über Spielplattformen etwas miteinander unternommen oder ein Spielprojekt erarbeitet. „Was Jugendliche zu jeder Zeit brauchen sind Rückzugsräume – mit oder ohne Corona“, sagt die Gesundheitspsychologin. „Ob echt oder durch Medien erschaffen, immer bieten diese Freiräume die Möglichkeit, dort alleine sein zu dürfen oder Zeit mit Freunden zu verbringen.“
Das eigene Ding machen
Genau das sind die Rahmenbedingungen, unter denen Heranwachsende ihre eigene Persönlichkeit entwickeln und die verschiedenen Facetten ihrer Identität erproben können. „Jugendliche wollen ihr eigenes Ding machen, selbstständig und unabhängig werden“, so Stocker. „Das daraus resultierende, manchmal mühsame Verhalten gibt Eltern das Gefühl, abgelehnt zu werden und überflüssig zu sein.“ Für Erwachsene ist es nicht leicht, wenn Pubertierende eingespielte Regeln ignorieren, Grenzen ausreizen und oft übellaunig, pampig und einsilbig daher kommen.
In Beziehung statt am Rand der Verweiflung
„Was helfen kann, ist daran zu denken, dass wir Eltern für unsere erwachsen werdenden Kinder nicht nur Prellbock, sondern ein sicherer Hafen in einer stürmischen Zeit sind.“ Es gelte, Verständnis für die jugendlichen Rückzugstendenzen aufzubringen – stundenlange Telefonate inklusive. Wenn es Eltern gelinge, mit ihren großen Töchtern und Söhnen im Gespräch zu bleiben, könnten diese auch eher dem Wunsch nach gemeinsamer Familienzeit oder mehr Beteiligung im Haushalt nachkommen. Und wir Eltern dem erhöhten Medienkonsum und manchmal irritierenden Verhalten unserer Teenager „gechillter“ begegnen.
In der Mediathek des Vorarlberger Kinderdorfs finden sich über 70 Fachvorträge zum Nachhören.